Muss ein Gasmotorenöl bei 50 % TBN tatsächlich gewechselt werden?
26.11.2018
Joris Van der List – Technology Manager
Legenden über Öle für stationäre Gasmotoren – und was dahinter steckt: Artikel 1 von 3: Muss Öl bei 50 % TBN tatsächlich gewechselt werden?
Die 50 %-Gesamtbasenzahl-Regel (TBN Regel)ist wahrscheinlich die unbestrittenste Faustregel der Branche. Fairerweise muss man sagen, dass sie für die meisten traditionellen Öle für stationäre Gasmotoren (SGEO) recht gut funktioniert. Ein besseres Verständnis der Regel ist jedoch notwendig, um den nächsten Schritt zu besseren Ölen zu gehen.
Wofür steht TBN und wie wird sie verwendet?
Die TBN (Total-Base-Number bzw. Gesamtbasenzahl) ist ein Maß für die alkalische Konzentration in Schmierstoffen. Dieser Wert wird verwendet, um das detergierende Vermögen (Basen-Reserve) des Öls zu beschreiben, d.h. eine höhere TBN steht für ein höheres Säureneutralisationsvermögen.
Der häufigste Test in der Branche ist die Prüfmethode ASTM D2896. Sie liefert einen genauen Indikator für die TBN, und die Ergebnisse können mit der TBN des ‚Frischöles‘ verglichen werden. Der Grenzwert von 50 % TBN bedeutet, daß das Öl im stationären Gasmotor gewechselt werden sollte, wenn das Gebrauchtöl einen TBN-Wert erreicht, der 50 % des Frischölwertes beträgt. Wenn beispielsweise der Frischölwert der TBN 6 mg KOH/g beträgt, muss das Gebrauchtöl gewechselt werden, sobald sein TBN-Wert 3 mg KOH/g erreicht. Unterhalb des 50 %-Wertes ist die säureneutralisierende Reserve im Öl unzureichend, was zu Öleindickung (höherer Viskosität), erhöhter Oxidation und schnellem Schmierstoffzerfall führen kann.
Viele Erstausrüster (OEMs) wenden daher die 50 %-TBN-Regel an. Diese Hersteller Grenzwerte für Gebrauchtöle sind für das Segment der stationären Gasmotoren sehr wichtig, da Garantie und Serviceverträge auf diesen beruhen. Sie bestimmen demzufolge die Ölwechselintervalle und damit die Wahrnehmung der Qualität.
Warum sollten wir die Regel überdenken?
Um zu verstehen, warum die Industrie die 50%-TBN-Regel überdenken muss, muss man zuerst den ASTM D2896-Test verstehen. Dies ist ein Titrationstest, bei dem Sie das Öl mit einer starken Säure unter Verwendung der sehr starken Perchlorsäure im Titrationsprozess neutralisieren. Die für den Test erforderliche Säuremenge bestimmt den TBN-Wert. Perchlorsäure ist so stark, dass der Test alle Basen, also schwache und starke Basen, misst.
In herkömmlichen Ölen von stationären Gasmotoren funktioniert dies gut, da die Basenzahl gleich der Menge an überbasischen Detergentien ist, was ein guter Indikator für die säureneutralisierende Reserve ist.
Moderne Gasmotorenöle mit sauberer Technologie beruhen auf einer Additiv-Chemie, die im Vergleich zu herkömmlichen stationären Gasmotorenölen komplexer ist. Diese Produkte enthalten neben den starken Basismaterialien, wie überbasischen Detergentien, eine Vielzahl von schwach basischen Komponenten. Beispiele für schwach basische Komponenten sind einige Arten von Antioxidantien und Metalldesaktivatoren. Siehe auch die folgende Tabelle:
Komponenten ASCHE
(Ja/Nein)
TBN
(Ja/Nein)
Überbasische Detergentien (Neutralisierung von Säuren) J J
Dispergiermittel (Ruß lösen) J/N J
Neutrale Detergentien (Oberfläche sauberhalten) J J
Oxidationsschutz N J/N
Metalldesaktivator (Katalysator deaktivieren) N J
Das bedeutet, dass in den modernen „Clean Technology“-Ölen für stationäre Gasmotoren der TBN-Wert nicht mehr nur ein Maß für die Säureneutralisationsfähigkeit, sondern eine Kombination aller Additive ist, die zu der TBN-Zahl beitragen.
Wie sehen die langfristigen Auswirkungen aus?
Das Problem ist, dass diese anderen schwachen basischen Komponenten in der Praxis aufgebraucht werden können. So reagiert beispielsweise ein Antioxidant mit Sauerstoff und wird verbraucht, wodurch die TBN abnimmt. Um diesen TBN-Abfall zu verhindern, entfernen einige Schmierstoffhersteller diese Komponenten aus der Schmierstoff-Formulierung. Die Wahrnehmung ist ein längerer Ölwechselintervall, was durch Routineuntersuchungen im Labor bestätigt wird, doch die langfristigen Auswirkungen sind verschmutzte Motoren, mehr Ölablagerungen, erhöhte Ausfallzeiten und höhere Wartungskosten.
Die folgende Grafik verdeutlicht dieses Problem:
50% TBN
Die schwarz gestrichelte Linie entspricht den traditionellen Gasmotorenölen; die schwarze durchgehende Linie stellt die Gasmotorenöle mit „Clean Technology“ (Hochleistungsöle) dar; die Grauzone zeigt die Abnahme der schwachen basischen Komponenten, wie z.B. Antioxidantien, die nicht zur Säureneutralisationsfähigkeit beitragen. Das Entfernen der wichtigen anderen Komponenten verbessert die Beibehaltung der Gesamtbasenzahl (TBN), hat aber negative Nebenwirkungen.
Denken Sie noch einmal darüber nach, wie die Ölqualität bestimmt wird!
Die 50%-TBN-Grenze und die Wahrnehmung, dass die Gasmotorenöl-Qualität hauptsächlich durch Routineanalyseberichte und nicht durch Langzeitwirkungen wie sauberere Motoren bedingt ist, bilden die Voraussetzungen für die Entwicklung von Gasmotorenöl. Dies ist die Konsequenz der Festlegung von Grenzwerten und der Bestimmung der Ölqualität. Moderne ‚Clean Technolgy‘-Gasmotorenöle werden daher oft zu früh gewechselt und die wirkliche Leistungsfähigkeit der neuen ‚sauberen Technologie‘ verliert ihre Wahrnehmung. Dadurch wird verhindert, daß Gasmotorenbetreiber nicht von der wahren Leistungsfähigkeit der Gasmotorenöle profitieren können.
Abschied von einer modernen Legende
Es ist an der Zeit, sich vom Mythos der 50 %-TBN zu verabschieden. Die Leistung des Gasmotorenöls sollte im Vordergrund stehen und daher sollten die Grenzwerte für moderne ‚Clean-Technology‘ Öle überdacht und an spezifische, leistungsgerechte Limitwerte angepasst werden.
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